Die Veränderungen und Verhaltensweisen im hohen Alter zu akzeptieren ist für pflegende Angehörige und professionelle Betreuer nicht leicht. Wenn ein alter Mensch immer wieder für uns verrückte Dinge sagt und tut, obwohl man sich ständig bemüht, ihm immer wieder die Realität zu erklären, müsste man eigentlich irgendwann zu einem Punkt kommen, an dem klar wird: „Es ist nicht möglich Einsicht zu erzielen. Das lässt die Krankheit einfach nicht mehr zu!“ Wenn alte Menschen sammeln, horten, die Dinge verstecken und dann vergessen, braucht es Verständnis.
Fakt ist: Viel zu lange bleiben Betreuer und Angehörige auf einer Art Konfrontationsebene. Alte Menschen können gar nicht wissen, warum sie oftmals so merkwürdige Dinge tun.
Fakt ist auch: Unsere Alten werden weiterhin auf ihren Aussagen beharren. Selbst den professionell Pflegenden und Betreuenden, die gut geschult sind, gehen Lebensgeschichten der ihnen anvertrauten alten Menschen oft so nahe, dass sie ihre eigenen Grenzen nicht erkennen und diesen Verhaltensweisen zumindest gereizt gegenüberstehen.
Fest steht: Wer diesen veränderten Zustand jedoch akzeptieren kann und Verhaltensweisen nicht mehr persönlich nimmt, hört mit den ständigen Diskussionen auf. Ein positiver Aspekt tritt ein. Anstelle von Wut, Ärger, Mitleid oder Trauer zu empfinden entwickelt man Empathie und erlernt den validierenden Umgang. Eine wesentliche und fundierte Erkenntnis.
Ein Beispiel aus meinem Erfahrungsschatz, ist hier angeführt:
Als ich in der mobilen Hauskrankenpflege arbeitete, lernte ich eine „grantige“ aber im Grunde nette 83-jährige Dame kennen.
Berta lebte alleine zuhause, die zunehmende Inkontinenz machte ihr zu schaffen. Körperlich war sie wie ein „Wiesel“. Geistig vergaß sie aber so manches, das Bett stand vollgeräumt im Wohnzimmer und im Nebenraum befand sich auch die Küche, die ebenso vollgeräumt war.
Die obere Etage stand leer. Berta ernährte sich vorwiegend von Tee, Keksen, Brot und ein wenig Obst. Sie aß nicht viel von diesen Sachen, doch aber sie sammelte und hortete sie trotzdem wie einen Schatz.
Zuerst wurden all die Naschereien auf einer Zentralheizung aufgelegt, danach kamen die guten Sachen hinter das Geschirr, auf das Bücherregal oder in den Kühlschrank. Sie wurden von ihr versteckt und dann vergessen.
Wenn die Haushaltshilfe versuchte, Berta daran zu hindern, scheiterte die gute Fee unweigerlich. Sie reagierte mit Unverständnis.
Das Bedürfnis von Berta war Sicherheit zu gewinnen, möglicherweise für schlechte Zeiten. Als eine Art „Symbol“ dafür verwendete sie Nahrungsmittel, wenn sie diese noch fand.
Doch, warum machte Berta das?
Aus ihrer Lebensgeschichte weiß ich, dass sie im ersten Weltkrieg beinahe verhungert wäre, als kleines Mädchen war sie so unterernährt gewesen, dass man ihre Haut am Unterarm mehrerer Zentimeter wegziehen hat können.
Bertas schlimme damalige Situation bzw. das damals durchgemachte lebensbedrohliche Gefühl ist in ihrem Unterbewusstsein gut verschlossen.
Obwohl jetzt jede Menge Essen da ist, muss sich Berta durch die immer wieder vergessenen Mengen absichern, um das damalige Gefühl der Angst mit dem heutigen Bedürfnis nach Sicherheit zu verknüpfen.
Viele alte Menschen sammeln und horten verschiedenes Essen, sie haben meistens eine Zeit des Hungers erlebt. Im Alltag sollten pflegende Angehörige wie auch Betreuer bei solchen Verhaltensweisen nicht vor den Augen des Betroffenen die Schubladen und Schränke ausräumen und alles wegwerfen. Die alten Menschen fühlen sich nicht ernst genommen, sondern vielmehr verraten.
Der gute Tipp:
Wenn man etwas wegnehmen muss, weil es bereits verdirbt, empfehle ich, es durch frische Nahrungsmittel zu ersetzen.
Das muss nicht dieselbe Menge sein. Wichtig ist also die Erkenntnis, dass das Sammeln und Horten für den alten Menschen von hoher Bedeutung ist und für den alten Menschen das Bedürfnis nach Sicherheit stillt.
Mit anderen Worten: Was man alten Menschen wegnimmt, nimmt ihnen die Sicherheit. Was man ihnen belässt (oder unmerklich ersetzt) lässt Zufriedenheit einkehren.